DIE LINKE und Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) beantragen gemeinsam die unverzügliche Einberufung des Kreistags

Anlass des gemeinsamen Antrags von DIE LINKE und Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) ist der Offene Brief des Bürgernetzwerkes Flüchtlingshilfe Sundern vom 11.12.2017 an Landrat und Kreistag.

(Der Beitrag ist heute zuerst auf der Website der Sauerländer Bürgerliste erschienen.)

Verzögerungen
Bedauerlicherweise hat die Kreisverwaltung diesen Brief erst 3 Wochen nach Eingang an die Kreistagsfraktionen weitergeleitet. Damit hatten die Fraktionen aus Fristgründen keine Möglichkeit mehr, den „Offenen Brief“ auf die Tagesordnung der Kreistagssitzung am 12.01.2018 setzen zu lassen. Es wäre auch wünschenswert gewesen, wenn der Landrat den Kreistag bereits in der vorletzten Sitzung am 15.12.2017 über diesen Brief informiert hätte.

Inhalt des „Offenen Briefes“
In diesem Brief weisen die Autoren darauf hin, dass aus dem HSK z.B. nach Italien abgeschobene bzw. überstellte Flüchtlinge dort unter unmenschlichen Verhältnissen leben müssen, ohne Unterkunft und ohne medizinische Versorgung. Dies führt insbesondere im Winter für die Betroffenen zu sehr großen Gefahren. “Wir machen uns extreme Sorgen um diese Flüchtlinge”, schreibt das Bürgernetzwerk. Unter dem Brief stehen 49 Namen.

Bürgerin aus Sundern nutzt Einwohnerfragestunde im Kreistag
In der Einwohnerfragestunde am 12.01.2018 hat eine Bürgerin aus Sundern die Situation in Italien und die Lage der dorthin aus Sundern abgeschobenen Menschen geschildert, wie es auch in dem Offenen Brief der Flüchtlingshilfe Sundern dargestellt ist. Die Fragestellerin äußerte, dass Italien mit der großen Zahl von Flüchtlingen überfordert sei. Frau H. bat darum, dass der HSK zumindest in den Wintermonaten auf Abschiebungen verzichtet. Sie fragte auch, warum aus dem Kreishaus keine Reaktion auf den Offenen Brief der Flüchtlingshilfe Sundern erfolgt ist und warum es so lange dauerte, bis er den Kreistagsmitgliedern von der Verwaltung zugestellt worden ist.

Dublin-Verfahren
Die zuständige Abteilungsleiterin antwortete im Auftrag des Landrats, sprach vom Dublin-Verfahren und dass das Kreisausländeramt die Anordnungen des BAMF auf der Basis von dessen Beurteilungen der Lage in anderen Ländern durchführen müsse. Der HSK hätte in diesen Fällen keine Möglichkeit, Duldungen auszusprechen. Die der Fragestellerin gegebenen Antworten waren nicht nur für sie, sondern auch für andere Besucher und für mindestens zwei Fraktionen völlig unbefriedigend.

Was die Statistik sagt
Gegen die Richtigkeit der Darstellung der Kreisverwaltung spricht bereits die Statistik. „Im Jahr 2015 wurden bundesweit 44.892 Übernahme-Ersuchen aus Deutschland an andere Mitgliedstaaten nach Dublin III gestellt; 29.699 davon wurde stattgegeben – im Endeffekt wurden 3.597 tatsächlich überstellt.“

[http://www.frnrw.de/fileadmin/frnrw/media/downloads/In_eigener_Sache/Newsletter/Newsletter_Februar_2017.pdf; Seite 4]

Nur bei 8,0% aller Übernahmeersuchen und nur bei 12,1% aller von den Partnerstaaten akzeptierten Übernahmeersuchen kam es im Jahr 2015 tatsächlich zur sog. Überstellung in ein anderes EU-Land. Es muss daher zahlreiche Möglichkeiten geben, Übernahmeersuchen nicht zu vollziehen.

Verfahrensweise der HSK-Ausländerbehörde im Vergleich zu der des Ausländeramts Arnsberg
Aus der ebenfalls zum Kreisgebiet gehörenden Stadt Arnsberg, die wegen ihrer Größe eine eigene Ausländerbehörde unterhält, ist uns eine andere Verfahrensweise bekannt. Dort wird sehr behutsam mit dem Instrument Abschiebung bzw. Überstellung umgegangen. Bisher wurde uns nicht bekannt, dass die Regierungspräsidentin bzw. der Regierungspräsident die Stadt Arnsberg zu restriktiverem Vorgehen bei Abschiebungen und Überstellungen gezwungen hat. Auch in der Sitzung des Arnsberger Ausschusses für Soziales, allgemeine Bürgerdienste und bürgerschaftliches Engagement am 07. März 2017 wurde die Arnsberger Verfahrensweise bestätigt. Die Arnsberger SPD-Ratsfraktion stellte in einem Antrag vom 14.06.2017 an den Stadtrat fest, dass die “eigene Ausländerbehörde auf Abschiebungen bislang fast vollständig verzichtet hat. Schon auf der Ebene des Kreises ist dies bereits anders.”

Die Situation in Italien und anderen EU-Ländern
In diversen aktuellen Lagebeschreibungen werden die katastrophalen Verhältnisse für Flüchtlinge in einigen anderen EU-Ländern benannt. Als Beispiel verweisen wir auf die Presseeinformation von “ProAsyl” vom 06.07.2017 “Flüchtlinge und Italien nicht im Stich lassen”
[https://www.nds-fluerat.org/25068/pressemitteilungen/pro-asyl-fordert-fluechtlingeund-italien-nicht-im-stich-lassen/].

Und noch einmal die Frage nach dem „WARUM“
Zwei Fraktionen im HSK-Kreistag stellen sich die Frage, warum die Ausländerbehörde des Hochsauerlandkreises Ermessensspielräume nicht feststellt und ausschöpft?

Nicht auf die lange Bank schieben!
Da derzeit Winter ist, duldet die Angelegenheit im Interesse der betroffenen Menschen keinen Aufschub, so dass die Fraktionen DIE LINKE und Sauerländer Bürgerliste (SBL/FW) eine umgehende Befassung des Kreistags mit der Angelegenheit für erforderlich halten. Die nächste Kreistagssitzung war bisher für den 16.03.2018 geplant und liegt damit zu spät für die zu beratenden Themen.

„Postausgang“ am 15. Januar
Wir haben hiermit den gemeinsamen Antrag der beiden Kreistagsfraktionen fast 1 zu 1 zitiert. Bleibt noch anzumerken, dass er am 15.01.2018 an Landrat Dr. Karl Schneider abgesandt worden ist.

Wie geht es weiter?
Einen Beschlussvorschlag zu TOP 2 werden DIE LINKE- und die SBL/FW-Fraktion einbringen, sobald ihnen nähere Auskünfte der Kreisverwaltung zu TOP 1 vorliegen, ggf. während der von ihnen beantragten Sitzung des Kreistags.

Die Fraktionsvorsitzenden Dietmar Schwalm und Reinhard Loos schreiben abschließend in ihrem Antrag an Herrn Dr. Schneider:
“Falls Sie, Herr Landrat, uns vorschlagen, dass Sie die Thematik erst in der Kreistagssitzung am 16.03.2018 behandeln möchten, muss aus unserer Sicht gewährleistet sein, dass bis zu diesem Zeitpunkt der Ermessensspielraum der Ausländerbehörde genutzt und keine Überstellung eines Flüchtlings aufgrund von Dublin III in ein anderes EU-Land vorgenommen wird. Unter dieser Voraussetzung wären wir damit einverstanden, dass die von uns beantragte zusätzliche Kreistagssitzung nicht stattfindet und die beantragten Tagesordnungspunkte erst am 16.03.2018 vom Kreistag erörtert werden.“

Gegen Abschiebungen nach Italien: Offener Brief des Bürgernetzwerks Flüchtlingshilfe Sundern

Das Bürgernetzwerk Flüchtlingshilfe Sundern hat dem Kreistag in Meschede eine offenen Brief übergeben, den wir an dieser Stelle veröffentlichen.

 

Umleitung: Jahresrückblicke, Stickoxid in den Städten, Halbmond über Leipzig und der Geierabend

Das im März diesen Jahres stillgelegte Kohlekraftwerk Voerde (Möllen) (foto: zoom)
Rückblick auf das Jahr 2017 (1): Politik als Storytelling und der Politiker als sprachröhrender Entertainer … endoplast

Rückblick auf das Jahr 2017 (2): Populismus als Kultursimplizität … endoplast

„Wir brauchen 2018 messbare Erfolge für saubere Luft“: Der Deutsche Städtetag hält es für entscheidend, dass 2018 messbare Erfolge beim Kampf gegen zu hohe Stickoxid-Werte in den Städten erzielt werden … doppelwacholder

„Linksextremer“ Halbmond über Leipzig – oder das Ende einer Party: Szeneviertel seien ein wichtiger Indikator, schreibt der Verfassungsschutz. In Leipzig seien dies die an die Innenstadt südlich, westlich und östlich angrenzenden Viertel plus Umgebung. Eine beachtliche Zusammenrottung von Szenevierteln … prinzessinenreporter

Dinslakens Menschen bewegte in der 52. Woche 2017: Weihnachtszeit, Jahresüberblick 2017, Rückblick … andreashaab

Von Dortmund-Dorstfeld bis Donald Trump: der Geierabend 2017/2018 … revierpassagen

Journalistentag NRW 2017 Teil II – am Ende enttäuscht. Trotz alledem: Free Deniz!

Steffen Küßner liest die letzte Kolumne von Deniz Yücel in der taz vom 30. März 2015. (foto: zoom)

Ich werde in den nächsten Tagen noch einen weiteren Artikel über den Journalistentag 2017 schreiben, irgendwas mit Podcast, Fake News und „Daten suchen im Lokalen“.

Vorher muss ich aber noch meine große Enttäuschung loswerden, die mir seit Samstagabend quer sitzt:

Die Free-Deniz-Lesung zum Abschluss der Veranstaltung wurde von nur wenigen Journalistinnen und Journalisten besucht. Stühle, nein ganze Stuhlreihen blieben leer. Die Besucher strömten nach Hause.

Reinhard Baumgarten (SWR), Frank Stach (Vorsitzender DJV-NRW), Dr. Sascha Lehnhartz (WeltN24) und Stefan Küßner (Freundeskreis #FreeDeniz) lasen wunderbare Texte des Kollegen Deniz Yücel.

„Klagt mich endlich an“, fordert der jetzige Welt-Korrespondent Deniz Yücel, der ohne Anklageschrift seit über 9 Monaten in der Türkei in Haft ist. „Er hat eine Einzelzelle, muss allein Fußball spielen und seinen Strom selber zahlen“, schreibt die taz.

Das Foyer hat sich geleert. Einige Uninteressierte stehen an der Kaffeetheke und palavern laut.

Ich schäme mich, obwohl ich nur ein Blogger bin.

Reinhard Baumgarten und Frank Stach teilen sich einen langen fast lyrischen Text „Damit wir die Wolken nicht berühren“, Sascha Lehnartz trägt kurz und knackig Yücels Liebe zum Autokorso vor und Steffen Küßner liest die Abschiedskolumne „Mach’s gut, taz!“ vom 30. März 2015.

Die Teilnehmer der Free-Deniz-Lesung (foto: zoom)

Der Kollege Deniz Yücel sitzt in der Türkei im Knast, während die Zukunft des deutschen Journalismus im Auto oder in der Bahn nach Hause fährt.

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Freiheit für Deniz!

„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“

(Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen vom 10.12.1948)

Für die Freiheit von Information, Meinung, Wort und Kunst. Gemeinsam für und mit Deniz Yücel und allen zur Zeit in der Türkei inhaftierten Kolleginnen und Kollegen.

http://freedeniz.de/

Aserbaidschan-Connection bei der CDU: Verdacht auf Abgeordnetenbestechung. LobbyControl kommentiert.

Union trägt Mitverantwortung für den Fall Karin Strenz

Berlin (lobbycontrol) Die CDU-Bundestagsabgeordnete Karin Strenz soll Gelder aus Aserbaidschan erhalten haben, zugleich stand sie bereits in der Vergangenheit wegen ihrer pro-aserbaidschanischen Haltung in der Kritik.

So stimmte sie als einzige deutsche Abgeordnete im Europarat gegen eine Forderung zur Befreiung politischer Gefangener in Aserbaidschan. Über den Fall berichten heute Süddeutsche Zeitung und Report Mainz. Ulrich Müller von LobbyControl kommentiert:

„Karin Strenz muss umgehend und vor allem vor der Wahl offenlegen, wofür sie Geld aus Aserbaidschan erhalten hat. Sollte es einen Zusammenhang zwischen den Zahlungen und parlamentarischen Aktivitäten von Karin Strenz geben, würde sich die Frage stellen, ob es hier um Abgeordnetenbestechung geht.“

Weiterhin ist unklar, ob die von Strenz gegründete Firma Extent GmbH Lobbyarbeit betrieb und für wen. Ulrich Müller: „Der Firmenzweck klingt stark nach Lobbyarbeit. Auch hier muss nun dringend Klarheit geschaffen werden. Darüber hinaus zeigt der Fall sehr deutlich, dass ein Lobbyregister in Deutschland fehlt. Vor allem CDU und CSU blockieren hier seit Jahren. Sie tragen damit eine Mitverantwortung dafür, wenn dubiose Geldflüsse an Abgeordnete jahrelang unerkannt bleiben.“

Umleitung: nach Hamburg

Haltestelle Dortmund Tierpark. Frei schwebend. Panzer. Schwimmend. Glück oder Zweifel im Auge. (foto: zoom)
Der G20 Gipfel in Hamburg war ein Desaster:

Für die 20 Regierungschefs und Chefinnen. Für die politische Führung der Hansestadt. Für die Polizei. Für die Versammlungsfreiheit. Für die Grundrechte. Für die Pressefreiheit.

Nicht für die Zehntausenden von friedlichen Demonstranten am Samstag. Nicht für die politische Diskussion, denn:

Jetzt werden wir reden und nachdenken.

Ich habe viel über die Gewalt der Straße gelesen, aber was wurde eigentlich auf dem Gipfel inszeniert? Erdogan, Putin, Trump – das Triumvirat der Autokraten.

Ich habe die Veranstaltung nicht verstanden. Was wollten die zwanzig PolitikerInnen plus Entourage in der Elbphilharmonie?

Der G20 Gipfel hat viele Bilder geliefert, die nun in den Medien ausgespielt werden.

Die Botschaft?

Protestforscher über G-20-Chaos: „Die Strategie der Polizei ist kolossal gescheitert“ … sueddeutsche

Die Stunde der Vereinfacher: Konservative wollen der deutschen Linken die brutalen Krawalle in die Schuhe schieben. Das ist billig. Denn es ist nicht links, Kleinwagen anzuzünden … taz

Grundrechte sind kein abstrakter Kokolores: Die Taktik der Hamburger Polizei war so von gestern wie die Politik von Trump. Friedliche G-20-Kritiker wurden teilweise in einen Topf geworfen mit den gewalttätigen Volldeppen vom Schwarzen Block. So wird berechtigter Protest angeschwärzt … sueddeutsche

Aufarbeitung der Krawallnacht: Der Tag danach … taz

Funke Mediengruppe läuft heiß: Mein Abend mit Ivanka im Hotel Vier Jahreszeiten … abendblatt

Acht Architekten-Jahre: Heute fand die Grundsteinlegung für den Erweiterungsbau des Sauerlandmuseums Alt-Arnsberg statt, mit Ansprachen u.a. der Regierungspräsidentin … sbl

Polemik gegen den „närrischen“ Reformator: Thomas Murner, Luthers katholischer Widersacher von Format … revierpassagen

Islamisten im Revier: die undurchsichtige Moschee
Wie Terrornetzwerke Behörden auf die Probe stellen – am Beispiel der Essener Assalam-Moschee

Die Assalam Moschee in Essen. (foto: correctiv.ruhr)

Verurteilte Terroristen suchen gerne die Nähe einer Moschee im Essener Nordviertel. Ist die Assalam-Moschee organisatorischer Anker für die in NRW starke Dschihadisten-Szene oder nur ein zufällig gewählter Gebetsort? Auch Sicherheitsbehörden fällt es oft schwer, das abzuschätzen.

Von Payam Ghalehdar (Correctiv.Ruhr)

Samstag, 11. März: Mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizeibeamte riegeln das Essener Einkaufszentrum am Limbecker Platz ab. Terroralarm. Die Innenstadt im Ausnahmezustand. Dem Verfassungsschutz liegen Hinweise vor, dass der sogenannte Islamische Staat genau dann, genau dort einen Anschlag mit einem mindestens zweiköpfigen „Hit-Team“  plante. Der Befehl sei direkt aus Syrien gekommen – von einem Oberhausener Dschihadisten.

Warum ausgerechnet Essen? Ermittler kann das kaum überraschen. Sie wissen: Die Terrorgefahr hält auch im Ruhrgebiet an.

Etwa 100 Muslime, so schätzt die Polizei Essen, bekennen sich in der Stadt zum Salafismus. Jeder Fünfte von ihnen billigt militärische Mittel zur Errichtung eines Kalifats. Eine Szene, die einen Treffpunkt benötigt. Und so etwas muss einige Jahre lang die Assalam-Moschee in Essen gewesen sein. Ist sie es weiterhin?

Am Rande der Innenstadt fällt sie kaum auf. Früher eine Kneipe, lässt sich nur am einfachen Schild über dem Eingang des Eckhauses erkennen, dass es sich um ein Gebetshaus handelt. Die Fensterscheiben des wenig repräsentativen Gebäudes im traditionsreichen Eltingviertel sind verdunkelt. Von außen kann man nicht hineinschauen. Von hier geht das „größte islamistische Gefahrenpotenzial im Stadtgebiet“  aus, sagt ein Ermittler.

Viele Indizien deuten auf ein puristisch-islamistisches Religionsverständnis der Assalam-Moschee. Die Vereinssatzung des 2004 gegründeten Trägervereins belegt eine Vernetzung mit einem anderen Verein: „Anjuman-e Islahul Muslemeen Deutschland“ in Friedrichsdorf, Hochtaunuskreis. Dieser wiederum ist laut hessischem Verfassungsschutz ein Knotenpunkt der „Tablighi Jama’at“  – die islamistische Bewegung stammt aus Indien, ihre Predigten enthalten salafistische Elemente. Ob diese Verbindung noch eine Rolle im Vereinsleben der Essener Moscheegemeinde spielt, ist nicht bekannt.

Bekannte Gesichter

Was wir wissen: Die Behörden Nordrhein-Westfalens schoben einen Vorbeter der Assalam-Moschee 2009 in die palästinensischen Autonomiegebiete ab. In seiner Wohnung fanden Ermittler Terrorvideos und Anleitungen zum Bombenbau. Der Vorbeter stand in engem Kontakt mit dem Bochumer Sami A., dem ehemaligen Leibwächter Osama Bin Ladens.

Ermittler vor Ort beobachten deswegen schon lange die Essener Moschee. Immer wieder sehen sie auch Gesichter, die sie bereits aus ihren Akten kennen. Jüngst war Daniel S. dort zu Gast, wie  Quellen aus Sicherheitskreisen bestätigen.

Einst prominentes Mitglied der sogenannten „Sauerland-Gruppe“, die Bombenanschläge auf US-Einrichtungen in deutschen Großstädten plante, wurde S. 2010 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Später wurde er vorzeitig entlassen und 2016 von der Terrorsanktionsliste der Vereinten Nationen gestrichen. Laut Gutachtern gehe  von ihm keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit mehr aus. Sein Anwalt sagt, sein Mandant widme sich seit der Haftentlassung „einem normalen Leben“.

Doch laut Informationen aus Sicherheitskreisen ist S. kein Einzelfall – verurteilte Terroristen suchen gerne die Nähe der Assalam-Moschee.

Bis zu seiner Ausreise nach Syrien vor drei Jahren verkehrte Silvio K. regelmäßig dort – er ist als das „deutsche Gesicht des IS“  bekannt geworden. Auch Tayfun S. war häufig zu Gast, wird es nun aber länger nicht mehr sein. Er wurde Anfang April verurteilt, weil er einen Anschlag auf den Parteivorsitzenden von Pro.NRW plante. Und die Sikh-Tempel-Bomber hielten sich ebenfalls in der Moschee auf – nur wenige Stunden bevor sie vor einem Jahr in Essen ihre selbstgebastelte Bombe  zündeten. Der 2008 freigekommene Terrorist Bernhard Falk ergänzt die lange Liste gefährlicher Islamisten, die im Umfeld der Essener Moschee gesichtet wurden.

NRW ist Salafisten-Hochburg

Tatsächlich leben viele Salafisten in Nordrhein-Westfalen. Nach Angaben der Verfassungsschutzbehörden wohnt etwa jeder Zweite der bundesweit als gewaltbereit eingestuften Salafisten im Land: Ende 2016 waren es 650 von 1200 in ganz Deutschland. Ein Sprecher von Innenminister Ralf Jäger beteuert dennoch: „NRW ist genauso betroffen wie andere Bundesländer.“

Welche Gefahr geht von diesem Personenkreis aus? Nach dem Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin scheinen die Sicherheitsbehörden größere Vorsicht walten zu lassen. Attentäter Anis Amri konnte seine Terrorpläne noch ungehindert umsetzen – trotz monatelanger Überwachung und konkreter Hinweise auf sein Vorhaben. Nun wird bereits bei geringeren Anzeichen reagiert, wie der eingangs geschilderte Terroreinsatz am Limbecker Platz zeigt.

Eine simple Messenger-Nachricht eines ausgewanderten Islamisten versetzte die Behörden in höchste Alarmbereitschaft: „Wenn es klappt, Inshallah, dann in zwei Tagen Essen Zentrum, die große Einkaufshalle.“  Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Ankündigung bestanden in Sicherheitskreisen von Anfang an. Dennoch riegelte die Polizei das Einkaufszentrum in einem aufwändigen Großeinsatz ganztägig ab. „Nach Berlin kann man kein Risiko mehr eingehen“, sagt ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes.

Wie schwierig es ist, Gefahren abzuwägen, spielt auch eine entscheidende Rolle bei der polizeilichen Bewertung von Moscheen und muslimischen Gemeinden. Ein Sprecher des NRW-Innenministeriums schätzt: Etwa 50 von 830 Moscheen im Land sind salafistisch oder salafistisch beeinflusst. Auch wenn konkrete Terroranschläge eher in privaten Wohnungen, über verschlüsselte Kommunikation und in konspirativen Gesprächszirkeln geplant werden – Moscheen sind für die radikale Szene unverzichtbar. Als Ort von „Anbahnungsgesprächen“  und „erster Kontaktaufnahme“, sagen Terrorismusexperten.

Wer ist nur politisch? Wer ist militant?

Es scheint aber schwer zu sagen, ob und wie viele der 50 salafistisch geprägten Moscheen in NRW tatsächlich zum Dunstkreis konkreter terroristischer Aktivitäten zählen. Nicht von jeder dieser Moscheen geht eine unmittelbare Gefahr für die innere Sicherheit aus. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen „politischen“  und „gewaltbereiten“, also dschihadistischen Salafisten.

Beide Gruppen streben die Errichtung eines „islamischen“  Staatssystems an. Den Jihad als militärischen Kampf stellen aber lediglich gewaltorientierte Salafisten in den Mittelpunkt ihrer religiösen Vorstellungen. Eine trennscharfe Unterscheidung ist oft nicht möglich. Das erschwert die Arbeit der Polizei und der Verfassungsschutzämter enorm.

So lang die Liste der belastenden Indizien auch sein mag: Die Assalam-Moschee zeigt, wie kompliziert der Umgang mit in Verdacht geratenen Moscheen ist.

Ein Freitag wenige Wochen nach dem Terroralarm in der Innenstadt: Kleine Gruppen gläubiger Muslime münden in eine große Menschenschar, die sich vor der Moschee zum wöchentlichen Freitagsgebet versammelt hat. Langsam und mit Bedacht betreten die Besucher den Vorraum der Moschee und entledigen sich ihrer Schuhe, ehe sie der sanfte Teppich des warmen und gemütlichen Gebetsraums in Empfang nimmt. Viel Platz auf dem Teppich bleibt bei dem Andrang nicht. Man bekommt den Eindruck, dass die Assalam-Moschee trotz der Schlagzeilen für viele Menschen ein wichtiger Ort ist. Hier können sie ihre Religion frei ausüben.

Dass auch Leute unter den Besuchern waren und vielleicht noch sind, die bereit sind zum bewaffneten Kampf – das ist dem Vorstand durchaus bewusst. „Viele sind nach Syrien in den Dschihad gezogen“, sagt ein Vorstandsmitglied. Er nennt sie „Dummköpfe“. Der Verein habe zum Selbstschutz Kameras innerhalb der Moschee installiert. So sei nachvollziehbar, wer sich in der Moschee und davor aufhält. Letztlich sei es aber die Aufgabe der Sicherheitsbehörden, Extremisten zur Verantwortung zu ziehen.

Angst vor einer Schließung habe die Gemeinde nicht. Dass der verurteilte Daniel S. hier aufgetaucht sein soll, könne man nicht bestätigen. Dschihadistische Tendenzen dulde der Verein nicht.

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Der Autor ist Reporter bei CORRECTIV.RUHR. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie CORRECTIV.RUHR unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied des Recherchenzentrums correctiv.org. Informationen finden Sie unter correctiv.org

Umleitung: Looking for Soulfood? Von Schulz über die Türkei ins Kreishaus.

Graffito am Schwimmbad im Stadtpark Hamburg (foto: zoom)

Schulz: Boom oder Blase? SPD-Kanzlerkandidat verliert an Boden … postvonhorn

Wie viel Politische Korrektheit braucht das Land? Eine Antwort aus sprachlicher Sicht … scilogs

Spaltpilz: Das haben sie sich wahrhaft fein ausgedacht. Beim Zusammenkehren des gesammelten Hirnschrotts –in der AfD reichlich unter der Bezeichnung Parteitag erhältlich – stellt die nationalsozialistisch orientierte Fraktion fest, dass sie ohne die andere Hälfte, größtenteils vorbestrafte Hasardeure, nur verfassungsfeindliches Gepöbel für eine ordentliche Fundamentalopposition zusammenkriegt … zynaesthesie

Ein Tach ist zu wenig: Paul setzte sich mit Schwung zu uns an den Stammtisch: „Na, ihr Feinde des Volkes!“ Wir grüßten fröhlich zurück: „Hey, Du Lügner und Spion!“ … charly&friends

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Türkei-Referendum: „Die Spaltung des Landes ist damit amtlich manifestiert“ … ruhrbarone

Dieses Referendum genießt keine Legitimität: Heute wurde in der Türkei über die Verfassungsänderung und die Einführung des Präsidialsystems abgestimmt. Die vorläufigen Ergebnisse besagen, dass etwas mehr als 50% der Bevölkerung für ein „Ja“ gestimmt hat … civaka

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“Willkommen” im Kreishaus? Am Morgen des 13. April 2017 traf sich eine Gruppe recht unterschiedlicher Personen in der Gaststätte „Zum Pulverturm“ in Meschede, um von dort aus einen angemeldeten Demonstrationszug durch Meschede zu starten … sbl

„Die Abbieger“: Thomas Schweres hat den Ruhrgebiets-Krimi zur Stauschau geschrieben … revierpassagen

SPD Winterberg besucht Europäisches Parlament.

Die Winterberger SPD Delegation gemeinsam mit Birgit Sippel im Europäischen Parlament. (foto: spd/sippel)

Winterberg. (spd_pm) Auf Einladung der heimischen Europaabgeordneten Birgit Sippel besuchte die Delegation aus Winterberg das Europaparlament in Straßburg.

Auf dem Programm standen eine Stadtrundfahrt, ein Altstadtrundgang, eine Kathedralenführung sowie eine Bootstour.

Highlights waren die Teilnahme an einer Plenarsitzung und die Diskussion mit Birgit Sippel im Europäischen Parlament. Hier erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer „aus erster Hand“ aktuelle Informationen zur Europapolitik.

Am letzten Tag wurde die Delegation im Historischen Rathaus von Straßburg empfangen und es wurde zum Thema „Europas Bürger“ und das „Neue Europa“ referiert.

Alle Teilnehmer waren sich einig, Straßburg ist immer eine Reise wert. Wir als Demokraten wollen weiterhin ein starkes und neues Europa!

Erdogans Integrationsblocker

Die UETD – eine echte Alternative für Deutschland


Die UETD war einer der Organisatoren der Pro-Erdogan-Demo Ende Juli 2016 in Köln. (Quelle: Correctiv.Ruhr)

Todesstrafe, offener Antisemitismus, die Verstrickung von Religion und Politik, dazu unverhohlene Propaganda-Arbeit für den türkischen Präsidenten und die Macht zehntausende Menschen auf deutschen Straßen zu versammeln. Die UETD, die Union Europäisch-Türkischer Demokraten, gehört zu Erdoğans wichtigsten Propaganda-Instrumenten in Europa. Gleich über zwei Parteien könnte sie im Mai ihren Einfluss auch im nordrhein-westfälischen Landtag geltend machen. Wie schafft es diese Organisation trotz ihrer Entgleisungen in der Öffentlichkeit das Gesicht zu wahren?

Von Hüysein Topel (correctiv.ruhr)

Mein Name ist Hüysein Topel. Ich bin Deutsch-Türke, Journalist und lebe in Solingen. Reporter, die sich in beiden Welten – der türkischen wie der deutschen – bewegen können, gibt es nicht allzu viele. Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei in diesem Sommer hatte ich also viel zu tun.

Meine Geschichte beginnt mit einem Telefonanruf der Funke Mediengruppe am 10. August 2016. Ich wurde zu den Auswirkungen des Putschversuches auf die türkische Community in Deutschland befragt. Ich antwortete ehrlich. Sprach über den Triumph Erdoğans und die immer lauter werdenden Forderungen nach der Todesstrafe in der Türkei.

Und so geriet ich in einen Konflikt mit einer der wichtigsten Organisationen, die Erdoğans Einfluss in Europa sichern: der UETD, der Union Europäisch-Türkischer Demokraten.

Was ist die UETD?

Erdoğan und die UETD haben eine lange, gemeinsame Geschichte. Die Union Europäisch Türkischer Demokraten wurde als Verein im Jahr 2004, also bereits in seinem zweiten Amtsjahr als damaliger Ministerpräsident, ins Leben gerufen. Die Ausrichtung der UETD ist stark von Erdoğans Geist und Ansichten geprägt. Von Anfang an gilt er als Förderer des Vereins.

Aber auch wenn es diesen Verein seit Jahren schon gab, war dessen Bekanntheitsgrad lange überschaubar. Bis zum Jahr 2013. Innerhalb kürzester Zeit schaffte es ab da der Verein seinen Einfluss und seine Stellung in Europa auszubauen und so zu einer der wichtigsten Stimmen der türkischen Bevölkerung in ganz Deutschland zu werden. Besonders aktiv zeigt sich die UETD immer wieder mit ihren Ortsvereinen im Ruhrgebiet.

Vor 2013 konnte die UETD kaum auf eine eigene Basis zurückgreifen, stattdessen fand sie symbiotisch bei alteingesessenen türkischen Vereinen und Verbänden Unterschlupf. Ihren Zweck beschreibt die UETD so. Sie will „das politische, soziale und kulturelle Engagement der Türken in der Europäischen Union, bei dem (…) der Integrationsprozess in die europäische Gesellschaft im Vordergrund stehe, fördern.“

Wie vieles bei der UETD wirkt dieses Ziel auf den ersten Blick gut. Doch der Verein beherrscht das Spiel zwischen den Lebenswelten. In deutscher Umgebung zeigt er sich offen und verständlich. So erscheint er nach außen. Ganz anders agiert er nach innen. In die türkische Lebenswelt. Hier ist er aggressiv und nationalistisch. Aber fangen wir vorne an.

Wie konnte die UETD plötzlich derartigen Einfluss erlangen?

Zunächst einmal hat die UETD die Nähe zum religiösen Leben vieler Türken gesucht – und häufig auch gefunden. Der kleine Erdoğan-treue Verein mit den großen Ambitionen wurde in vielen DITIB-Ortsvereinen, also Niederlassungen der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, mit offenen Armen empfangen. Sie bekam Räume und konnte auf die Infrastruktur der Moscheen zurückgreifen. Aber auch bei den nationalistischen Türken der ATIB und der internationalen islamischen Bewegung Milli Görüs fand die UETD Unterschlupf. Milli Görüs steht unter anderem in NRW wegen antisemitischer und verfassungsfeindlicher Einstellungen unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. So bekam die UETD eine Bühne für ihre Arbeit und Veranstaltungsorte für Redner und Informationsabende.

Fragwürdige Redner: der Agitator

Doch gerade die Unterstützung durch die DITIB-Moscheen entwickelte sich zum Problem. Während die DITIB-Zentrale öffentlich von politischen Einflüssen Abstand nahm, scheinen sich viele ihrer Ortsvereine der Vorstellung politischer Zurückhaltung zu widersetzen und gewähren der UETD in etlichen DITIB-Moscheen freien Zugang. Das ist einfach möglich. Jede DITIB-Moschee ist ein eigenständiger Verein, mit eigener Vorstandsspitze und damit nur bedingt an die DITIB-Zentrale gebunden. deren Einfluss ist beschränkt.

Da die meisten Vorstände mit der AKP, der türkischen Regierungspartei von Erdoğan, sympathisieren, hat auch die UETD mit ihren Rednern in den DITIB-Moscheen gute Chancen auf offene Ohren zu treffen.

Metin Külünk zum Beispiel, AKP-Abgeordneter und enger Vertrauter Erdoğans, von AKP-Fans in Deutschland auch gern als „der große Bruder Europas“ bezeichnet, ist Dauergast der UETD, häufig in DITIB-Moscheen. In Gelsenkirchen; in der Moschee am Freistuhl 14. In Gelsenkirchen, in der DITIB Mescid-i Aksaa Moschee. In Mülheim-Styrum, in der DITIB Ulu Moschee. In Dortmund, in der DITIB-Zentralmoschee.

Külünk weiß, sehr bewusst die Religion für den Staat zu nutzen. So forderte er 2015 die DITIB-Gemeinden in Deutschland auf, Wahlurnen aufzustellen, um konservativen Wählern Raum zu geben. Immer wieder versuchte er auch, Funktionäre der DITIB zu Stellungnahmen bei öffentlichen Diskussionen im Sinne der türkischen Regierung zu bewegen. Sie sollten zum Beispiel in der Causa Böhmermann öffentlich Strafanzeige erstatten.

Der AKP-Abgeordnete Metin Külünk fordert DITIB-Mitglieder auf, gegen das ZDF und damit den Satiriker Böhmermann Strafanzeige zu stellen. (Quelle: Screenshot Hüseyin Topel)

Külünk hat in den vergangenen Jahren oft gezielt Hetze und Missgunst zwischen den deutschen und türkischen Gemeinden gesät. Nach den jüngsten deutschen Reaktionen auf die Verhaftung von prokurdischen HDP-Abgeordneten in der Türkei, postete er: „Deutschland macht einen Fehler! Wegen dieser Feindseligkeit sollten deutsche Stiftungen in der Türkei geschlossen werden. Deutschland macht einen Fehler! Wegen dieser Feindseligkeit werden unsere in Deutschland lebenden Geschwister ihre Gelder von den deutschen Banken abziehen.“

Fragwürdige Redner: Ex-Grüner, Ex-SPD, Ex-AKP

Aber auch andere AKP-Politiker treten für die UETD in Moscheen auf und stellen den türkischen Muslimen ihre Weltanschauung dar. Für den 19. November hatte die UETD zu einer Veranstaltung mit Ozan Ceyhun, einem deutschen Politiker, AKP-Berater und gescheitertem AKP-Kandidaten, eingeladen. Das Thema: „Die neue Türkei nach dem Putschversuch“. Auf dem Veranstaltungsplakat ist die Äußere Aumühlstraße 11 in Würzburg angegeben; dieses Mal die Adresse des Türkisch-Islamischen Kulturvereins in Würzburg und damit eine weitere DITIB-Moschee.

Der Politiker Ozan Ceyhun tritt bei einer Veranstaltung der UETD in einer DITIB-Moschee auf. (Quelle: Screenshot Hüseyin Topel)

Eine Veranstaltung am 20. November in Ludwigshafen zum selben Thema konnte nicht wie angekündigt stattfinden, weil es angebliche PKK-Drohungen gab. Ozan Ceyhun sagte laut der türkischen Regierungszeitung Sabah: „Das ist ein Skandal von Deutschland. (…) Wäre es ein Deutscher Redner, hätte man einfach die Polizei alarmiert und die hätten jegliche Präventionsmaßnahme unternommen.“

Mit nationalistischen Äußerungen und Tweets fällt Ceyhun immer wieder auf. Der Ex-Grünen- und Ex-SPD-Politiker, der 2015 als Kandidat der AKP für das türkische Parlament antrat, warf Bundespräsident Joachim Gauck „billiges Heldentum“ vor, nachdem dieser bei einem Besuch 2015 in der Türkei die Einschränkung von Grundrechten kritisiert hatte. „Er hätte das nicht in der Öffentlichkeit tun dürfen“, sagte Ceyhun und demonstrierte damit sein Verständnis von Demokratie.

Das Versteckspiel

Das Versteckspiel der DITIB auf den UETD-Plakaten ist vermutlich der Versuch, die Religionsgemeinschaft aus unangenehmen Schlagzeilen und Diskussionen herauszuhalten. Zuletzt hatte die DITIB mit dem Vorwurf, ein weiteres türkisches Regierungsorgan zu sein, große Schwierigkeiten. Vor allem die jüngste Enthüllung der regierungskritischen türkischen Zeitung Cumhuriyet, dass Imame der DITIB auch in Deutschland als Spitzel des türkischen Staates arbeiten und gezielt Andersdenkende ausspionieren und denunzieren, dramatisiert die Lage der DITIB.

Das nordrhein-westfälische Innenministerium hatte bereits im September dieses Jahres seine Kooperation mit der Religionsgemeinschaft beendet. Grund waren „unterschiedliche Auffassungen über die inhaltliche Ausrichtung“ eines Comics in einem Präventionsprogramm für Jugendliche, wie es in einer Mitteilung des Innenministeriums heißt. Im Comic wurde der „Märtyrertod verherrlicht“. Auch nach Aufforderung war die DITIB nicht bereit, sich von diesen Inhalten klar zu distanzieren.

Fragwürdige Redner: Der Holocaust-Leugner

Mindestens ebenso bedenklich wie diese Verstrickungen ist auch das Verhältnis der UETD zu türkischen Journalisten mit antisemitischer Einstellung. Die UETD Stuttgart veranstaltete im Mai 2016 ein Seminar mit dem Redner Abdurrahman Dilipak. Dilipak schreibt für regierungsnahe Medien der Türkei, etwa für die Tageszeitung Yeni Akit, die in Deutschland wegen volksverhetzender Artikel seit 2005 verboten ist. Auslöser waren Aufmacher in der Zeitung wie „Hitler hatte Recht“, „Die Zionisten haben Deutschland in der Zange“ oder „Die 2. Nazi-Periode“.

In genau dieser Zeitung schrieb Abdurrahman Dilipak im Oktober 2015 einen Artikel, dessen Titel lautete: „Ja; Hitler wollte die Juden nicht vernichten“.

2015 titelte die Tageszeitung Yeni Akit „Ja; Hitler wollte die Juden nicht vernichten“. Der Autor: Abdurrahman Dilipak. (Quelle: Screenshot Correctiv.Ruhr)

Dilipak erklärte in dem Bericht, Benjamin Netanyahu hätte auf dem 37. Zionistischen Weltkongress gesagt, Adolf Hitler hatte die Juden nicht vernichten wollen, sondern lediglich ins Exil treiben. Erst der Großimam von Palästina hätte ihn angestiftet, die Juden zu verbrennen. Hitler sei selbst ein Jude gewesen, schrieb Dilipak weiter. Zwar habe es einige Alibi Morde gegeben, aber die Zahlen wurden bewusst übertrieben, damit die große jüdische Gemeinschaft Angst bekommt, um Richtung Palästina aufzubrechen. Dilipak schrieb in seinem Beitrag, Netanyahu habe diese Sichtweise auf den Holocaust bestätigt.

Die Rolle der UETD in Deutschland

Die UETD ist in Deutschland für etliche Erdoğan-Veranstaltungen verantwortlich. Ihre Vertreter und Vorstandsmitglieder organisieren Busse, um Wähler bei Abstimmungen an die Urnen in Konsulaten zu bringen. Die Fahrten starten oft vor Moscheen, um möglichst viele Gemeindemitglieder zum Urnengang zu mobilisieren.

Die UETD rühmt sich, die türkische Gemeinschaften in Deutschland mehr oder weniger geschlossen zu vertreten. Auch für die Kölner Kundgebung gegen den gescheiterten Putsch Ende Juli ist zu einem großen Teil auf die Organisationskraft der UETD zurückzuführen.

Die UETD und die Todesstrafe

Auf dieser Demonstration in Köln wurden immer wieder Rufe nach der Todesstrafe laut.

„BEI GOTT, WIR WOLLEN DIE TODESSTRAFE!!!“ lautet der letzte Satz dieses Facebook-Posts des UETD-Ortsvereins Ruhr. (Quelle: Screenshot Correctiv.Ruhr)

Die Deutsch-Türken sind wichtig für Erdoğan. legen sehr großen Wert auf Erdoğans Worte. Erdoğan weiß Reden und Wahlkämpfe zu führen. Er hat alle Entscheidungen, bei denen er höchstpersönlich aufgetreten ist, gewonnen und konsequent Stimmenzuwachs gefeiert. Heute, als Staatspräsident der Türkei im Ausnahmezustand, ist Erdoğan an den Zenit seiner Popularität gelangt. Die deutsche Gemeinschaft trägt seinen Anteil daran: In wankelmütigen Zeiten waren die Türken in Deutschland und Europa immer eine Art Rettungsring für das türkische Staatsoberhaupt. Mit den unglaublichen Wahlergebnissen (um die 60% bei den Parlamentswahlen in der Türkei im November 2015 für Erdoğans AKP aus Deutschland) hat er die ohnehin einseitigen Verhältnisse in der türkischen Politik noch weiter zu seinen Gunsten gedreht.

Zu dieser Zeit sprach mich ein Kollege der Funke Mediengruppe an und bat mich um ein Interview.

Für mich drängt sich die Frage auf, warum Politiker der Türkei so viel näher an die Türken unterschiedlichster Generationen in Deutschland herantreten können, als es hiesige Politiker schaffen.

Gescheiterte Integration

Die Türken in Deutschland wurden jahrelang von einer schlechten Integrationspolitik offensichtlich ignoriert, oft sogar benachteiligt. Sie wurden teilweise ausgegrenzt und diskriminiert. Ob Tatsache oder gefühlte Wahrheit, das hat die Zugehörigkeitsgefühle vieler Türken zu Deutschland gehemmt.

Hinzu kommt die Wahrnehmung aus der Heimat: Die Türken in Deutschland wurden durch die Türken in ihrer Heimat mehr als Devisenmännchen der Deutschen betrachtet. Für die Türkei-Türken waren sie keine vollwertigen Türken, und dieses Gefühl war für die meisten Türken in Deutschland zermürbend. Dann tauchte Erdoğan auf; ein charismatischer Leader, der die Türken in Deutschland wertzuschätzen schien, sie immer wieder besuchte und sich um ihre Sorgen kümmerte. „Integriert Euch, aber lasst Euch ja nicht assimilieren!“, dieser Satz des türkischen Staatsoberhauptes heizte an und prägte die Debatte um die Türken in Deutschland nachhaltig. Bei der Kölner Kundgebung gegen den Putschversuch in der Türkei skandierten Tausende Türken, die meisten in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, „Erdoğan ist unser Präsident!“

Parallele Lebenswelten

Ich halte das für bedenklich – kollidieren doch so westliche Werte mit dem erstarkenden Fundamentalismus in der Türkei. Seit Erdoğan nach dem gescheiterten Putschversuch von der Todesstrafe sprach und zudem erklärte, dass es der Wille seines Volkes sei, zeigen sich in den Nutzerprofilen AKP-treuer Deutsch-Türken immer häufiger Postings und Kommentare für die Wiedereinführung der Todesstrafe. Auch an der UETD zieht diese Welle nicht einfach so vorbei. Obwohl Repräsentanten des Vereins bemüht sind, sich der deutschen Öffentlichkeit als eloquent, moderat, äußerst demokratisch und der Todesstrafe natürlich ablehnend zu inszenieren, sieht ihre parallele Lebenswelt in türkischer Ausführung völlig anders aus.

Verleumderische Aussage

„Im Moment sprechen sich UETD-Repräsentanten beispielsweise für die Todesstrafe aus“, sagte ich in dem Interview mit der Funke Mediengruppe. Die UETD hat daraufhin gegen das Verlagshaus und mich ein einstweiliges Verfügungsverfahrens erwirkt. Sie waren der Meinung, meine Aussage sei verleumderisch und eine falsche Tatsachenbehauptung.

Die UETD und die Todesstrafe? „Das würde das sofortige Aus der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten“, sagte offiziell ein Sprecher des Vereins. Auch wenn die UETD sich gegenüber Zeitungen von der Forderung nach der Todesstrafe zu distanzieren versuchte, teilten viele ihrer Repräsentanten und Ortsvereine in den sozialen Medien diese Forderung, teilten Fotos von Menschen am Galgen – mit der Inschrift „Todesstrafe für Landesverräter“.

Bülent Döger, ein Mitglied des Vorstandes der UETD, schrieb zum Beispiel am 16. Juli – kurz nach dem Putsch – auf Facebook: „Ich bin als Jurist für die Todesstrafe“. Auf seiner Facebookseite teilte am 28. Juli der Ruhrverband der UETD ein Foto mit dem Text:

„Dem in Türksat als Märtyrer gefallenen Ahmet Özsoy 50 und dem Märtyrer Ömer Halisdemir, der dem Putschisten Semih Terzi in den Kopf schoss, sind 30 Patronen aus dem Körper entnommen worden. BEI GOTT, WIR WOLLEN DIE TODESSTRAFE!!!“

Europäische Werte

Nur zwei Beispiele von vielen, mit denen ich meine Äußerung vor Gericht untermauern konnte. Und so urteilte das Landgericht Wuppertal im Oktober, dass meine Sachaussage wahr ist und stellte somit unmissverständlich klar, dass viele Personen in und um die UETD eine Meinung vertreten, die nicht mit den Grundwerten der deutschen und europäischen Demokratie vereinbar sind.

Auffällig ist, dass genau diese und ähnliche Positionen, die mit den universellen Wertvorstellungen und europäischen Standards kollidieren, ausschließlich auf Türkisch kommuniziert werden. Stellt sich die Frage: Wie will die UETD seinem Anspruch, den Integrationsprozess der Türken in die europäische Gesellschaft zu fördern, tatsächlich gerecht werden? Wie kann sie einen Beitrag zur Integration der in Deutschland lebenden Türken in die europäische Gesellschaft zu bewirken, wenn die Geisteshaltung nicht nur den Wertvorstellungen der EU, sondern auch denen der deutsche Verfassung widerspricht?

Alles hat seine Konsequenzen

Meiner Ansicht nach hat ein Journalist die Aufgabe seine Mitmenschen mit Wissen zu beliefern, die sie in ihrem Alltag nicht erreichen können. Genauso ist es auch seine Aufgabe die Menschenrechte und Demokratie zu behüten. Doch mit einer kritischen Haltung ist es derzeit sehr schwierig in der türkischen Gemeinschaft zu leben. Den Hass vieler türkischer Landsleute habe ich bereits auf mich gezogen; viele Verwandte haben sich von mir abgewandt. Es ist nicht so einfach, wenn der eigene Onkel die Blicke auf den Boden richtet und wortlos an einem vorbei zieht. Auch ist für mich eine Reise in die Türkei ausgeschlossen. Nicht einmal bei der Beerdigung meines Großvaters konnte ich dabei sein. Es wäre quasi Selbstmord, sich einem Staat auszuliefern, in dem es kein Recht gibt. All das habe ich mir zuvor leichter vorgestellt, aber ich bereue nichts. Es ist der Preis, den ich in Kauf nehme.

Der direkte Einfluss

Die UETD ist in Deutschland Erdoğans mächtigstes Instrument, ein Verein mit erheblichem Einfluss auf die drei bis vier Millionen große türkische Bevölkerung in Deutschland. Denn während die Konsulate gezwungen sind, sich an internationale Regeln der Diplomatie zu halten, kann Erdoğan durch die UETD direkten Einfluss auf die türkische Bevölkerung in den Kommunen nehmen. Die UETD setzt AKP-Themen, transportiert jegliche Entwicklungen in der Türkei nach Deutschland und definiert die Debatte.

Gleich zu zwei kleinen Parteien, der Allianz Deutscher Demokraten (ADD) und dem Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG-Partei), hat die UETD enge Verbindungen. ADD-Gründer Remzi Aru war Mitglied der UETD und eines ihrer prägenden Gesichter in den deutschen Medien. Auch bei der BIG-Partei – als einer der ersten Migranten-Parteien in Deutschland – gibt es enge personelle Verflechtungen. Wie der Spiegel 2011 berichtete, sollen Spitzenfunktionäre der UETD maßgeblich an der Gründung der Partei beteiligt gewesen sein. Beide Parteien werden voraussichtlich im kommenden Mai zur Landtagswahl in NRW antreten.

Es sieht nicht danach aus, als würde die UETD bald von der Bildfläche verschwinden. Ihre Lebzeit hängt von Erdoğan ab, der seinerseits Schritt für Schritt seine eigene Diktatur errichtet und alle Widersacher einfach einsperrt.

Viel Vergnügen mit der UETD, die eine echte Alternative für Deutschland ist!


Link-Liste:
Erdoğan-Gruppierung klagt gegen Journalisten (Deutsch)

Tayyip Erdoğan ist von Anfang an Förderer der Union Europäisch Türkischer Demokraten (UETD). Ihre Ausrichtung ist stark von seinem Geist geprägt. (Türkisch)

Die Satzung der UETD (Deutsch)

Metin Külünk fordert 2015 die DITIB-Gemeinden in Deutschland dazu auf, Wahlurnen aufzustellen. (Türkisch)

Metin Külünk ist gegen das Deutsch-Türkische Verhältnis und listet die Fehler Deutschlands auf. (Türkisch)

Metin Külünk fordert die Schließung der deutschen Stiftungen in der Türkei. (Türkisch)

Metin Külünk fordert DITIB Mitglieder auf gegen das ZDF zu klagen und somit auch gegen den Satiriker Jan Böhmermann. (Türkisch)

Metin Külünk bezeichnet Cem Özdemir als einen Verräter, weil er dir Resolution zum Völkermord an den Armeniern unterschrieben hat. (Türkisch)

Abdurrahman Dilipak relativiert in einem Artikel unter der Überschrift „Ja; ´Hitler wollte die Juden nicht vernichten´” den Holocaust. (Türkisch)

Eine Meldung, eine Zeitung, allerdings in zwei Sprachen mit zwei sehr unterschiedlichen Bewertungen:

Der Vortrag von Ozan Ceyhun wurde nach einer PKK-Drohungen abgesagt. (Deutsch)

Für Deutsche und den Volksverräter Can Dündar hätte man den Vortrag bei Drohungen nicht abgesagt, sondern die Polizei informiert. (Türkisch)

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Der Autor ist Reporter bei CORRECTIV.RUHR. Die Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Missstände aufdecken und unvoreingenommen darüber berichten. Wenn Sie CORRECTIV.RUHR unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied des Recherchenzentrums correctiv.org. Informationen finden Sie unter correctiv.org